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Wir haben uns fünf verschiedene Antworten auf diese Frage angesehen, von Eliteuniversitäten wie Harvard oder dem MIT, über Wirtschaftsorganisationen wie der OECD bis hin zu Unternehmensberatungen wie McKinsey und PricewaterhouseCoopers.
Die Frage, wie sich künstliche Intelligenz (KI) und die damit verwandten Technologien auf unsere Jobs auswirken, beschäftigt zahlreiche Institutionen. Alle paar Monate wird eine neue, ausführliche Studie zu dem Thema Automatisierung veröffentlicht. Grund dafür ist die zügige Weiterentwicklung maschinellen Lernens und die damit steigende Anzahl an Aufgaben, die von intelligenten Maschinen übernommen werden können.
Wir haben uns Publikationen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), dem Management-Magazin Harvard Business Review, der Organisation für Wirtschaftskooperationen und Entwicklung (OECD) und den Unternehmensberatungen McKinsey und PwC angesehen. Worin stimmen die verschiedenen Aussagen überein? Worin unterscheiden sie sich? Wie wird eine künftige Arbeitswelt aussehen, in der Mensch und Maschine zusammenarbeiten?
Inhaltsverzeichnis
- MIT: Maschinen können den Menschen nicht ersetzen
- Harvard: Automatisierung ist ein Hype
- OECD: Automatisierung wird Jobs zerstören
- McKinsey: Automatisierung führt zu Wirtschaftswachstum und mehr Jobs
- PwC: Auswirkungen auf die Beschäftigung wahrscheinlich neutral
- Fazit: Wie wird Automatisierung unsere Arbeitswelt verändern?
Massachusetts Institute of Technology (MIT) – Maschinen können den Menschen nicht ersetzen
In einem Artikel der amerikanischen Universität aus dem Frühjahr 2017 heißt es, dass maschinelles Lernen im Moment nichts anderes als das Vorhersagen von Wahrscheinlichkeiten bedeutet. Computer können kalkulieren, jedoch keine Entscheidungen treffen oder gar danach handeln. Obwohl sich beide Bereiche rasant entwickeln, bleibt das menschliche Urteilsvermögen eine Kernkompetenz, die nicht durch Maschinen ersetzt werden kann. Der Grund dafür liegt in der Komplexität des Entscheidungsfindungsprozesses, welcher Wissen über Ethik sowie emotionale Intelligenz erfordert.
Unternehmen benötigen Führungskräfte, die Risiken einschätzen und verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen können. Etwa Ärzte, welche die maschinell berechnete Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung überprüfen und eine Diagnose stellen. Die Herausforderung besteht darin, die Mentalität oder Denkweise zu ändern: Der Mensch ist nicht länger selbst für Vorhersagen zuständig, sondern für Entscheidungen, die auf maschinell erstellten Handlungsempfehlungen basieren. Weiterhin ist es wichtig, dass Mitarbeiter verstehen, wie und wo sie Wahrscheinlichkeitsberechnungen einsetzen können, um Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten.
Die Autoren Simon Johnson und Jonathan Ruane betonen die Grenzen des maschinellen Lernens. Maschinen können durchaus komplexe Aufgaben lösen, aber z.B. nicht auf simple Herausforderungen wie kontextbezogene Fragen reagieren. Weiterhin sind sie nicht in der Lage bestimmte Handlungsempfehlungen zu begründen. Der Mensch muss weiterhin in den finalen Prozess mit einbezogen werden und kann nicht vollständig ersetzt werden.
Welche Herausforderungen die Nutzung der neuen Technologien mit sich bringt, zeigt eine weitere Veröffentlichung des MIT. Diese bezieht sich auf eine Studie der Unternehmensberatung Accenture. Demnach entwickeln sich in Unternehmen, die KI bereits testen oder einsetzen, drei neue Jobtypen.
- Lehrer: Diese Rolle lehrt KI Systeme, wie sie performen sollten. Der Trainer sorgt dafür, dass maschinelle Übersetzungen weniger fehlerhaft sind oder einer Maschine, menschlicher zu agieren. Die Komplexität menschlicher Kommunikation (Stichwort Sarkasmus oder Mitgefühl) stellt etwa für Chatbots eine Herausforderung dar. Ein Lehrer würde versuchen, diese Barrieren abzubauen.
- Erklärer: Der Erklärer baut Brücken zwischen den Technikern und der Führungsetage. Er sorgt für Wissenstransfer und Transparenz in Bezug auf maschinelles Lernen. Insbesondere, wenn die Maschine Handlungsempfehlungen gibt, die negative Konsequenzen haben. Der Erklärer ist ein Analyst, der Resultate der KI sezieren und detailliert erklären kann.
- Unterstützer: Ein Unterstützer sichert, dass KI Systeme so agieren wie geplant und dass unvorhergesehene Konsequenzen mit der notwendigen Dringlichkeit adressiert werden. Diese Rolle beinhaltet ethisches Beschwerdemanagement.
Es liegt in der Verantwortung des Menschen, dass künftige Maschinen effektiv, verantwortungsvoll, fair und transparent arbeiten. Um dies zu ermöglichen, benötigen Unternehmen Lern- und Entwicklungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter. Die Verfasser betonen am Ende, dass die Herausforderung eher eine menschliche ist und weniger eine technische.
Harvard Business Review – Automatisierung ist ein Hype
Mary L. Gray und Siddharth Suri (Forscher bei Microsoft Research) weisen im Januar 2017 im Management-Magazin Harvard Business Review auf die übersteigerte Erwartungshaltung der Öffentlichkeit hin, wenn es um KI geht. Zahlreiche Unternehmen behaupten, dass ihre Inhalte personalisiert oder Kommentarfunktionen durch Maschinen kuratiert werden. Fakt ist jedoch, dass in Entwicklungsländern billige Arbeitskräfte das Löschen von negativen Beiträgen, etwa auf Facebook, übernehmen. Grey und Suri nennen dies ein Paradoxon auf der Zielgeraden der Automatisierung, da die Entwicklung von KI zur Erschaffung von zeitlich befristeten Aufgaben führt, die noch immer nur der Mensch erledigen kann.
Die Kollegen Ravin Jesuthasan und John Boudreau sprechen im April 2017 ebenfalls über einen Hype um das Thema Automatisierung durch KI. Für die beiden Buchautoren geht es nicht um die Frage, welche Jobs zerstört werden, sondern wie maschinelles Lernen Arbeit neu definiert. Die beiden gehen von tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt aus, jedoch nicht vom massenhaften Jobverlust. Sie empfehlen zur Annäherung an das Thema vier Gedankenschritte.
1.) Zuerst kommt die Aufgabe, nicht der Job oder die Technologie
Arbeit wird durch neue Technologien nicht verschwinden, nur ihre Ausführung reibungsloser. Aufgaben sollten in einzelne Arbeitsschritte zerlegt und Teile durch Maschinen übernommen werden. Der so entstehende, neue Prozess wird eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine erfordern und effizienter sowie effektiver sein. Menschen übernehmen künftig Tätigkeiten, die wenig Routine beinhalten. Dieser Umstand wird neue Aufgabenbereichen kreieren, die jetzt noch nicht definiert werden können.
2.) Alle Automatisierungs-Optionen benötigen noch immer den Menschen
Die Autoren stellen drei Arten der Automatisierung vor:
- Zum einen die Automatisierung von Routine-Aufgaben mit geringer Komplexität, etwa das Abfragen von Kundendaten im Call-Center.
- Zweitens, die kognitive Automatisierung bei welcher Muster erkannt oder Sprache verarbeitet wird. Ein Beispiel ist der Amazon Go Store, welcher das Scannen und Bezahlen von Produkten automatisiert.
- Drittens, der Einsatz von Robotern und Sensoren, die mit Menschen interagieren, etwa das selbstfahrende Auto.
Alle drei Arten benötigen menschliche Fähigkeiten, um zu funktionieren. Sei es durch die Korrektur der Fahrweise oder das Gespräch mit einem wütenden Kunden. Die Automatisierung von Arbeitsprozessen erfolgt bisher nur teilweise, nie vollständig.
3.) Arbeit wird von der Organisation entkoppelt
Die Neugestaltung von Arbeitsprozessen und die verschiedenen Automatisierungs-Optionen passen nicht mehr mit traditionellen Jobs zusammen. Unternehmen benötigen flexible Arbeitskräfte, die sie nach Bedarf einsetzen können. Die klassische Festanstellung in einer Organisation wird an Relevanz verlieren. Netzwerke aus Freiberuflern, Freiwilligen, Mitarbeitern, Partnern werden an Bedeutung gewinnen.
4.) Organisationen müssen neu gestaltet werden
Unternehmen sind künftig eine Art Ökosystem, welches Arbeit und maschinelle sowie menschliche Kapazitäten vereint. Das Zusammenspiel aus allen Elementen ist nur durch ihre optimale Kombination möglich.
OECD – Die Automatisierung wird Jobs zerstören
Laut einer Erhebung der OECD im März 2018 sind rund ein Viertel der Jobs automatisierbar und 32% der Berufe könnten sich durch Automatisierung drastisch verändern. Besonders betroffen sind Routine-Tätigkeiten im Niedriglohnsektor, etwa in Fabriken oder im Dienstleistungsbereich. Ein Risiko ist die mangelhafte oder gar nicht stattfindende Weiterbildung, die etwa eine neue Karriere reibungslos erlauben würde. Neben Geringqualifizierten müssen Absolventen mit erhöhten Barrieren rechnen, da Aufgaben von Berufseinsteigern oft durch Maschinen übernommen werden können.
Gleichzeitig merkt die OECD an, dass Automatisierung die Chance beinhaltet, produktiver zu arbeiten und weniger Routine-Tätigkeiten auszuüben. Weiterhin werden neue Jobs kreiert und bestehende ergänzt. Als Beispiel wird die Einführung des Geldautomaten genannt, der ursprünglich einen Verantwortungsbereich von Bankkaufleuten übernahm. Diese hatten dadurch mehr Zeit, sich der persönlichen Kundenberatung zu widmen.
Zudem gibt es nach wie vor technische Herausforderungen für KI-basierte Systeme, etwa die Wahrnehmung in komplexen Arbeitsumgebungen, kreative Intelligenz oder soziale Kompetenz. Jobs, die solche Fähigkeiten erfordern, sind auch langfristig nicht automatisierbar. Generell sinkt das Risiko für Automatisierung parallel zur steigenden Komplexität einer Aufgabe.
McKinsey – Automatisierung führt zu Wirtschaftswachstum und mehr Jobs
Berechnungen des McKinsey Global Institutes ergaben im Sommer 2018, dass neue Deep-Learning-Techniken jährlich bis zu 6 Billionen US-Dollar erwirtschaften könnten. Die dadurch angekurbelte Weltwirtschaft würde die Arbeitsnachfrage und den Wohlstand weltweit steigern. Die Autoren der Studie, James Manyika und Kevin Sneader, gehen weiterhin davon aus, dass Automatisierung zu einer Steigerung des Produktivitäts-Wachstums in den nächsten zehn Jahren um jährlich zwei Prozent führen könnte. Ein Nebeneffekt ist die Entstehung neuer Berufe, die aktuell noch nicht definiert werden können. Solche Zukunftsjobs sollen bis zum Jahr 2030 20 Prozent der Arbeitsplätze ausmachen.
“Rund drei Prozent der weltweiten Arbeitskräfte müssen bis 2030 die Berufskategorien wechseln.” McKinsey Global Institute
Arbeitnehmer müssen sich daher mit Kenntnissen wie dem Programmieren, sozialer & emotionaler Kompetenz und kritischem Denken oder komplexer Informationsverarbeitung vertraut machen. Parallel dazu wird die Nachfrage nach körperlichen oder handwerklichen Fähigkeiten zurückgehen. Die Studie schätzt, dass weltweit 15 Prozent der Jobs vollständig durch Maschinen übernommen werden. Abhängig sei dies jedoch von verschiedenen Einflussfaktoren, wie zum Beispiel den Bereitstellungskosten für die neuen Technologien, Arbeitsmarktdynamiken oder sozialen Normen und Akzeptanz. Das Angebot von Jobs für hochqualifizierte Arbeitskräfte wird ebenso wie die Einkommensungleichheit zunehmen. Ein Risiko ist die daraus resultierende, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die zu sozialen und politischen Konflikten führen könnte.
PWC – Auswirkungen der Automatisierung auf Beschäftigung wahrscheinlich neutral
PricewaterhouseCoopers geht von drei Wellen der Automatisierung aus, die bis 2030 die Arbeitswelt verändern.
- Die Algorithmuswelle automatisiert aktuell in den Bereichen Finanzen, Information und Kommunikation einfache Rechenaufgaben und die Analyse von strukturierten Daten.
- Die Augmentationswelle wird in den 2020er Jahren wiederholbare Aufgaben automatisieren. Dazu zählen etwa das Ausfüllen von Formularen, Kundenkommunikation oder der Einsatz von Robotern in Lagerhallen.
- Die Autonomiewelle wird in den 2030er Jahren körperliche Arbeit und Geschicklichkeit automatisieren, etwa im Transportwesen.
PwC glaubt nicht an eine daraus resultierende Massenarbeitslosigkeit, aber an eine tiefgreifende Veränderung des Arbeitsmarktes, abhängig vom jeweiligen Land oder Industriesektor. Das höchste “Automatisierungsrisiko” haben der Studie zufolge Berufe im Transportwesen, der Fabrikarbeit, Baugewerbe sowie administrative Tätigkeiten. Das niedrigste Risiko tragen hochqualifizierte Arbeitskräfte, da diese in der Regel besser mit dem technologischem Wandel umgehen können und wahrscheinlicher in einer Führungsposition sind. Letztere sind relevant, wenn es um das menschliche Urteilsvermögen und die Überwachung KI-basierter Systeme geht.
“Die langfristigen Auswirkungen der Automatisierung auf die Beschäftigung sind wahrscheinlich neutral oder sogar leicht positiv.” PwC
Essentiell ist laut der Unternehmensberatung die Weiterbildung und der Beginn neuer Karrieren. So kann eine Massenarbeitslosigkeit verhindert werden. Es sei Aufgabe der Unternehmen und der Regierungen, Arbeitnehmer dahingehend zu unterstützen.
Fazit – Wie Automatisierung durch KI unsere Arbeitswelt verändern wird
Alle Quellen stimmen darin überein, dass mit der Automatisierung neue Jobs für vorrangig hochqualifizierte Arbeitnehmer entstehen werden. Zu den künftig wertvollen Fähigkeiten zählen das menschliche Urteilsvermögen, aber auch technische und analytische Kenntnisse sowie das Wissen um potenzielle Einsatzgebiete für KI. Neue Aufgabenfelder entwickeln sich vorrangig im Bereich Erstellung, Betreuung und Optimierung von KI-basierten Systemen.
Bildung wird als elementare Bedingung genannt, um dem fortschreitenden technischen Wandel gerecht zu werden. Eine Massenarbeitslosigkeit kann verhindert werden, wenn Wirtschaft und Politik betroffene Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor schulen und neue Karrieremöglichkeiten aufzeigen. Dennoch bleibt ein hohes Risiko, dass die fortschreitende Automatisierung in den nächsten 10 bis 20 Jahren zu einer wachsenden finanziellen Ungleichheit führt, welche politische Konflikte schüren kann.
Unabhängig davon weisen alle Publikationen auf die Grenzen des maschinellen Lernens sowie erhebliche technische Herausforderungen hin, die eine vollständige Automatisierung verhindern. Der Mensch und seine einzigartigen Fähigkeiten sind weiterhin unverzichtbar.
Unterschiede gibt es in den Prognosen zur Arbeitslosigkeit und dem wirtschaftlichen Wert der neuen Technologien. Außerdem sind sich die verschiedenen Quellen uneinig darüber, ob Automatisierung nur ein Hype oder eine ernstzunehmende Gefahr ist. Fakt ist, dass das Thema relevant genug ist, um Ressourcen für die Erstellung und Verbreitung von ausführlichen Studien aufzubringen. Nicht ausreichend berücksichtigt werden Berechnungen, ob tatsächlich genug neue Jobs durch Innovation entstehen oder ob der Mensch durch die kontinuierliche Verbesserung der Maschinen sich langfristig selbst abschafft.
Wie die Zukunft genau aussehen wird, kann (natürlich) keiner der Herausgeber vorhersagen. Ein Blick in die Vergangenheit ist vielleicht beruhigender. Schließlich hat die Menschheit die Einführung des Computers oder die Digitalisierung ebenfalls überstanden.
Titelbild: DALLE 2
Quellen:
- http://ilp.mit.edu/media/news_articles/smr/2017/58416.pdf
- http://ilp.mit.edu/media/news_articles/smr/2017/58311.pdf
- http://mitsloan.mit.edu/newsroom/articles/how-artificial-intelligence-is-reimagining-work/
- https://hbr.org/2017/01/the-humans-working-behind-the-ai-curtain
- https://hbr.org/2017/04/thinking-through-how-automation-will-affect-your-workforce
- https://www.oecd.org/employment/Automation-policy-brief-2018.pdf
- https://www.mckinsey.com/featured-insights/future-of-organizations-and-work/ai-automation-and-the-future-of-work-ten-things-to-solve-for
- https://www.pwc.co.uk/economic-services/assets/international-impact-of-automation-feb-2018.pdf